Der kanadische Staat unterteilt die autochthonen Völker in drei Gruppen: Métis, Inuit und Premières Nations. Die Provinz Quebec zählt elf verschiedene autochthone Nationen, deren Gruppen vor der Zeit der Kolonialisierung in nomadischen Gesellschaftsstrukturen oder in Jagdgruppen das Land bewohnt haben. Mit der Assimilationspolitik, deren Institutionalisierung auf die Gründung Kanadas 1867 und das Loi sur les Indiens (1876) zurückgeht, begeht Kanada einen kulturellen Genozid, der autochthone Völker zur Sesshaftigkeit zwingt und ihnen zu Lasten der Diversität autochthoner Kulturen, die dominante Kolonialkultur und Sprache aufzwängt. Mit der Durchführung der Kommission für Wahrheit und Reconciliation von Kanada (2008-2015) wurde ein erster Schritt in Richtung der Neuverhandlungen der Beziehungen zwischen Autochthonen und Allochthonen gemacht. Um einen offenen Diskurs und vor allem einen transnationalen Prozess des Lernens anzustoßen, sieht die Universität ihren Bildungsauftrag darin, diesem Austausch Raum zu schaffen.
In dieser Atmosphäre wurde das Programm für das Kolloquium organisiert, das am Vorabend, den 11. Juli 2024, mit einer französischsprachigen Lesung der autochthonen quebeker Autorin Virginia Pesemapeo Bordeleau eingeleitet wird. Die Lesung wird um 18 Uhr in der Library Lounge der Zentralbibliothek der Universität Passau stattfinden. Die métisse-cri Künstlerin ist 1951 im Osten Quebecs geboren und als Autorin und Malerin tätig. Ihr Roman „L’amant du lac“ (2013) (Der Liebhaber vom See) ist der erste erotische autochthone Roman aus Quebec. Die Autorin wird Ausschnitte aus ihrem Werk vorlesen und steht im Anschluss Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit zur offenen Diskussion ihres Schaffens zur Verfügung.
Das Kolloquium wird am Vormittag des 12. Juli 2024 offiziell eröffnet. Darauf folgen die Präsentationen von 20 Forschenden aus drei Kontinenten (Nordamerika, Europa und Afrika), acht Ländern und 16 verschiedenen Universitäten, die sich jeweils mit Fragenstellungen der autochthonen Literaturen und den Repräsentationen von Autochthonen in Kunst und Literatur im Kontext des frankophonen Kanadas beschäftigen.
Außerdem wird das Kolloquium von einem breiten kulturellen Programm begleitet. Das Centre des auteurs dramatiques (CEAD) von Montreal wird durch Alexandre Cadieux vertreten sein und bietet den Teilnehmenden am Abend des 12. Juli 2024 eine Theatervorstellung, die Theater und offenen Diskurs mischt, um einen Panoramablick über das dramaturgische Schaffen autochthoner Kunstschaffender in Quebec zu geben. Auftreten werden hierbei die bekannte innu Poetin, Slammerin und Schriftstellerin Natasha Kanapé Fontaine und der métisse-malécite Dramaturg und Schriftsteller Dave Jenniss. Gemeinsam mit Virginia Pesemapeo Bordeleau werden so drei von elf autochthonen Nationen an der Universität Passau vertreten sein. Die Veranstaltung wird mit der Präsentation des Dokumentarfilms „Kathy and Teresa“ von der Filmemacherin Marie Zrenner am Abend des 13. Juli 2024 abgeschlossen.
Das Angebot wird abgerundet durch die bilinguale Ausstellung „À la rencontre des peuples autochtones du Canada contemporain! Den autochthonen Völkern Kanadas begegen“. Organisiert in Kooperation mit dem Lektorat Französisch des Sprachenzentrums von Aude Neugebauer, Valérie Galpin, Prof. Dr. Marina Ortrud Hertrampf, Dr. Diana Mistreanu und Elena Goldhofer, findet die Ausstellung, die thematische Arbeiten von Studierenden präsentiert, vom 08. bis 19. Juli 2024 im Foyer der Zentralbibliothek statt (die Vernissage findet am 8. Juli um 19 Uhr statt).
Sowohl das wissenschaftliche, als auch das kulturelle Programm ist für alle Interessierten kostenfrei zugänglich. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.